Die Geschichtenhändlerin konzipiert und organisiert mehrsprachige Erzählveranstaltungen. Wie zum Beispiel die FEUERSPUREN 2007.

Am 10. November 2007 feierte der Bremer Stadtteil Gröpelingen mit Erzählungen aus aller Welt seinen Sprachenschatz. Das Projekt war Preisträger bei GEIST BEGEISTERT ein Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen des Jahres der Geisteswissenschaften.

Folgender Artikel von Julia Klein aus dem Sommer 2006 veranschaulicht den Ablauf mehrsprachiger Erzählveranstaltungen

Geschichten gibt’s in allen Sprachen
Mehrsprachiges Erzählen in Bremen

In Bremen, der Stadt, in der ich seit 2002 als Geschichtenerzählerin unterwegs bin, leben Menschen aus über 100 Nationen. Es gibt Stadtteile in denen über 50 verschiedene Sprachen gesprochen werden. Was für ein Sprachenschatz! Welch unglaubliche Möglichkeit, die Geschichten, die ich nur aus Übersetzungen kenne, in der Originalsprache, erzählt zu bekommen!
Seit Frühjahr 2005 organisiere ich mehrsprachige Erzählaktionen in Bremen.
Diese Aktionen finden in zwei Bereichen statt. Zur Sprachförderung im pädagogischen Bereich , das heißt in Kindergärten und in Schulen und im künstlerischen Bereich in Form von Veranstaltungen für Familien. Über beide Ansätze werde ich im folgenden berichten.

Zweisprachiges Erzählen im pädagogischen Bereich im Rahmen des BLK-Projektes Erzählwerkstatt

a) Die Erzählwerkstatt
Das Bundesland Bremen ist am bundesweiten BLK Programm FörMig (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund) mit drei Programmelementen beteiligt. Eines der Projekte ist die Erzählwerkstatt. Von Herbst 2004 bis zum Herbst 2007 wird das Geschichtenerzählen als Mittel der Sprachförderung von zweisprachigen Kindern erprobt.
Beteiligt an dem Projekt sind PädagogInnen aus sieben Kindergärten und sechs Grundschulen, der Senator für Bildung, das Lehrerfortbildungsinstitut (LIS) und die Universität Bremen.
Wissenschaftliche Leiter des Projektes ist Prof. Dr. Johannes Merkel.

In den beteiligten Einrichtungen werden regelmäßig Erzählaktionen durchgeführt. Erzählt werden Geschichten, die typische grammatikalische Stolpersteine des Deutschen beinhalten und Ausgangspunkt für weitere Übungseinheiten sind. Die Kinder sind im letzten Kindergartenjahr und in den ersten drei Grundschulklassen, das heißt 5-9 Jahre alt.
Die Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund liegt in den beteiligten Schulen und Kindergärten zwischen 50-90%. Da liegt das Miteinbeziehen der Sprachenvielfalt nahe.

b) Zweisprachige Erzählaktionen in Kindergärten und Grundschulen
Zusammen mit zwei Studentinnen der Bremer Universität, die eine mit türkischem, die andere mit russischem Migrationshintergrund, begannen wir im Mai 2005 mit zweisprachigen Erzählaktionen.
Der Ablauf einer solchen Aktion ist folgendermaßen:

Die Erzählerin besucht eine Kindergartengruppe oder Schulklasse, in der einige Kinder, russisch, bzw. türkisch sprechen. Sie stellt sich vor und erklärt, dass sie eine Geschichte in zwei Sprachen erzählen wird.

Sie fragt die Kinder, wer russisch oder türkisch spricht und fordert alle anderen Kinder auf, genau zuzuhören und auf ihre Mimik und Gestik zu achten. Dann erzählt sie die Geschichte auf russisch, bzw. türkisch. Der Erzählstil ist mimik- und gestenreich. Jede Geschichte enthält wiederkehrende Elemente , zum Beispiel ein Lied, das immer wieder gesungen wird oder ein Reim mit klaren Gesten. Diese Teile laden alle Kinder zum Mitmachen ein. Im Anschluss an die russisch- oder türkischsprachige Erzählung sagen die nicht- russisch, bzw. nicht-türkischsprachigen Kinder, was sie verstanden haben. Sie erzählen, was sie glauben, wovon die Geschichte handelt, und welche Worte ihnen bekannt vorkamen. Mit Hilfe der Kinder, die sie Sprache verstanden haben, erzählt die Erzählerin die Geschichte dann noch einmal auf deutsch. Sie verwendet die gleichen klaren Gesten und Mitmachelemente. Situationsabhängig wird dann die Geschichte noch mal nachgespielt. Zu jeder Geschichte gibt es einen Vorschlag für eine weiterführende Mal-, Schreib- oder Bastelaktion, die entweder im Anschluss oder zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden kann.
Die Geschichten sind traditionelle Geschichten aus Russland und der Türkei, welche die Studentinnen selbst ausgewählt haben.

Wichtig war uns hierbei der eigene Bezug, den die Erzählerinnen zu den Geschichten haben
Nach dreißig auf diese Weise durchgeführten Erzählaktionen sind unsere Erfahrungen folgende:

  • Durch das Erzählen in ihren Muttersprachen werden auch diejenigen Kinder zum Sprechen und Mitmachen angeregt, die sich sonst selten sprachlich äußern. Teilweise kommentierten sie die Geschichte auf russisch oder türkisch. Teilweise übersetzten sie schon während des ersten Erzählens einzelne Worte für ihre KlassenkameradInnen. Manchen Kindern war der Stolz auf den Wissensvorsprung deutlich anzumerken. Bereitwillig halfen sie beim deutschen Erzählen mit
  • Entgegen der anfänglichen Befürchtungen der PädagogInnen hörten auch die nichttürkisch, bzw. nichtrussischsprachigen Kinder gespannt zu. Wichtig ist hierfür der große Einsatz der Gestik und die wiederkehrenden Elemente. Immer wieder beobachteten wir auch, wie erstaunt die Kinder ihre russisch-, bzw. türkischsprachigen KlassenkameradInnen anschauten, wenn diese sich eifrig beteiligten.
  • Deutlich erkennbar war die Freude der Kinder darüber, dass ihre Muttersprache in der deutschen Institution auftauchte, was keine Alltäglichkeit ist. Sie waren sichtlich neugierig darauf, mehr von Herkunft und aktueller Lebenssituation der Erzählerinnen zu erfahren.

Märchen öffnen Türen
Mehrsprachige Erzählnachmittage für Familien

Die Idee zu den mehrsprachigen Erzählnachmittagen entstand im Gespräch mit Sabine Michaelis einer Mitarbeiterin beim Senator für Soziales. Die Ausgangsfrage lautete:
Was ist das geeignete kulturelle Angebot für Menschen unterschiedlichster Herkunft in sogenannten Brennpunktstadtteilen?
Im Rahmen des Bremer Weltspiels und in Kooperation mit dem Kulturzentrum Schlachthof fand dann im Juni 2005 der erste mehrsprachige Erzählnachmittag statt. Veranstaltungsort war ein, im Stadtteil Osterholz-Tenever, aufgebautes, Zirkuszelt. Die Erzählerinnen erzählten in ihren Muttersprachen Märchen aus dem Iran, aus Indien, aus Russland und aus der Türkei. Zwischendrin gab ich kurze Zusammenfassungen auf deutsch. Wir spielten mit Rückblick und Vorausschau und arbeiteten auch hier mit sehr klaren Gesten.

Eine weitere wichtige Rolle spielte die Musik. Zwei Musiker des Bremer Stadtimmigrantenorchesters begleiteten die Märchen mit Instrumenten und Musikstücken aus den jeweiligen Ländern.
Am Ende waren dann die Sprachkenntnisse des Publikums gefragt. Wir erzählten gemeinsam in fünf Sprachen die Geschichte der störrischen Rübe, die sich nicht aus dem Boden ziehen lässt und baten dann das Publikum um Hilfe. Jeder, der in einer noch nicht vorgekommenen Sprache die Worte eins, zwei, drei konnte, wurde auf die Bühne geholt und ans Ende der Reihe gestellt. Bei der ersten Veranstaltung wurde in zwanzig verschiedenen Sprachen auf drei gezählt.

Zwei weitere mehrsprachige Erzählnachmittage haben wir seitdem auf die Beine gestellt. Und hoffentlich werden ihnen noch viele folgen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass mit dieser Form der Veranstaltung Menschen angesprochen werden, die sonst selten kulturelle Veranstaltungen besuchen. Im Anschluss ans Erzählen auf der Bühne wurde jedes Mal noch lange miteinander geredet, weitererzählt und musiziert. Denn Geschichten locken Geschichten hervor. Der besondere Reiz der Veranstaltung liegt darin, mehrere unterschiedliche Sprachen zu Wort kommen zu lassen, so dass jedeR im Publikum mal mehr und mal weniger versteht.
Alle Klänge verbinden sich zu einem Gesamtklang zur Feier des Sprachenschatzes mitten in Bremen.